Das electische Nich-Sein
Sein abenteuerlicher Weg durch Simulationen führt Costis nun in den Bereich der
Luftelektrizität; mit allen folgerichtigen Bezugssystemen, Anspielungen und poetischen
Verbindungen, die ein solches Vorgehen, ja Vordringen, impliziert. Sich der Domäne von Blitz und Donner
zu nähern, stellt ohne Zweifel ein gewagtes Unternehmen dar. Costis will prometheisch
sein, er bringt das Feuer in seine Gewalt und gestaltet es nach Belieben. Das Resultat ist
faszinierend. Der Blitz definiert sich als elektrische Entladung in der Atmosphäre. Er
wird dank der ihn charakterisierenden Helle wahrgenommen. Er kann gewunden und verzweigt
sein, oder ein System von Halonen bilden, wie beim Wetterleuchten. Costis Version des
Blitzes ist ein in jedem Sinn synthetischer Blitz. Er ist mental, insofern, als dass er
Teil der Wahrscheinlichkeit eines sorgfältig ausgearbeiteten elektronischen Programmes
ist und sein aleatorisches Erscheinen der gleichen wahrnehmnungsbedingten
Wahrscheinlichkeit unterliegt, mit der wir imstande sind ihn als solchen, in Form von
helleuchtenden Entladungen auf einer gitterartigen Kupferplatte, zu erkennen.
Die Wahrscheinlichkeit des Bildes wird von uns als Ausdruck des Nicht-Seins in Bezug
zum Sein verstanden. Das Nicht-Sein oder Nicht-Ich entsprechend der hegelianischen
Definition des Begriffs, das heisst, jener intermediäre Zustand zwischen Sein und Nichts,
der es erlaubt, die Hypertrophie des Ichs zu entlasten und der eine grosse zufallsbedingte
Offenheit schafft, Offenheit für Poesie und auch für eine rationale Aussage innerhalb
der Phantasie. Die Phantasie bei Costis fasst sich stets unter der Formel 3 = 1 zusammen.
Heute handelt es sich nicht mehr um Simulationen von Gesichtern, die in Frage gestellt
werden, sondern eben um elektrische Wechselwirkungen. Costis Arbeit mit dem Titel 3 = 1
vergegenwärtigt lineare Elemente, die durch ihre Stösse und ihre Message eine visuelle,
strahlende Dreiheit bilden. Die Phantasie, das ist auch das Spiel mit Explosionen, mit dem Donner, das
Spiel mit allen spektakulären Elementen des Feuers im Äther. Meiner Meinung nach stellt
Costis dabei seine ungeheuere Bescheidenheit im Umgang mit dem Problem, dem er sich
gegenüberstellt, unter Beweis. Und gewissermassen lässt sich diese Bescheidenheit mit
der Praktik einer Art Exorzismus identifizieren. Umsonst löst niemand den Zorn des
Himmels aus und spielt mit dem Blitz. Ich denke nicht, dass Costis, dem es mittels der
Elektrotechnik gelungen ist den Blitz zu zähmen, aus seinem Schaffen irgendeinen
zweifelhaften Ruhm ziehen will. Noch nie hatte ich angesichts einer so fundamentalen
Aussage so stark das Empfinden von unsagbarem Respekt vor der Energie, die da gelenkt
wird. Costis weiss sehr wohl, dass er sich diese Energie, die des Himmels und des Kosmos,
anneignen kann, um sie zu assimilieren und in eine ganz persönliche poetische Aussage zu
integrieren. Doch er weiss ebenso, dass er sie nicht besitzen kann, dass er nur der
inspirierte und dankbare «Bewohner» dieser kosmischen, unsichtbaren, doch um uns
allgegenwärtigen Energie ist. Völlig autonom wirkt die Tatsache unseres Bewusstsein,
dass Energie die Grundlage jeden Ausdrucks ist und vor allem die Grundlage aller
Definitionskriterien von Sensibilität.
Diese, unsere Sensibilität und Äusserung unserer Identität ist nur ein verschwindend kleiner Teil der kosmischen Energie. Um es nochmals deutlich zu machen, wir verfügen nur leihweise über sie, können sie unmöglich besitzen. Wir sind verantwortlich für den Gebrauch, den wir von ihr machen, und gerade die Gewissheit ob dieser Verantwortlichkeit will Costis mit dem Ausdruck seiner elektrischen Sprache stetig hervorheben. Ich sehe in dieser Haltung eine grosse Liebe zur Menschheit und grosse Hoffnung in die erlösende und heilbringende Dimension der Alchimie unserer Welt. Die alchimistische Tradition besagt, dass der Blitz am Ende der glühenden Bahn das entscheidende Element der Apokatastase und des Steins der Waisen sei, Vorbote der Katalyse des Feuers, das Blei in Gold verwandelt und das letzte Heil der Welt bedeutet. Wir sind gewiss zu rational, um in Costis elektrotechnischer Sprache nur die Suche nach einem poetischen und zweifellos illusorischen Gral zu sehen. Aber diese Art Illusion benötigen wir um so dringender, denn sie ist hilfreich im Leben, ohne uns jedoch missbräuchlich glauben zu lassen, wir seien besser als wir es tatsächlich sind.
Costis
gesamte Arbeit, seine Ausstellung stellt sich als grosse Metapher von der Energie dar.
Eine Metapher von der Energie mit so vielen symbolischen Anhaltspunkten, dass sie in den
ethischen Bereich vorstösst. Eine ethische Metapher ist eine Parabel. Costis
Erfindungsgabe ist doppelt parabolisch; im physikalischen Sinn des Begriffs bedeutet sie:
Die Helle des Blitzes an sich. Und im moralischen Sinn ähnelt jede seiner Arbeiten einer
Fabel; und wie alle fabelhaften Parabeln führt sie zu einer Ethik des Seins. Diese
Reflexion über das Sein wird uns nicht im Namen eines Manichäsimus von gut und böse
aufgezwungen, ganz im Gegenteil, unsere absolute Willensfreiheit bleibt erhalten. Und dies
ist so wahr und deutlich, dass uns die Ermahnung zu einer essentiellen Bewusstheit auf der
zweiten Ebene erscheint, nämlich durch die Fotografien von Costis aufblitzenden
Skulpturen: Diese Skulpturen, Konkavspiegel auf hohen Ständern befestigt, provozieren die
Emission der elektrischen Entladung, und was wir mit dem blossen Auge sehen, ist der
lineare, sich windende Blitz mit Donnerschlag, mehr nicht. Die Fotografie des
Blitzgeschehens rekonstruiert die dialektische Komponente dieses essentiellen Phänomens:
Die Spiegelung der elektrischen Helligkeit, eine tiefblaue Spiegelung, die die
homothetische Projektion der flüchtigen Spur des entfesselten Blitzes bedeutet. Hier
begegnen wir dem Dualismus wieder, den der griechische Künstler mit Vorliebe in seine
Dialektik einbringt, und zugleich das Bekenntnis einer Wahrheit, deren Zusammnhang eher in
der Existenz als in der Essenz zu suchen ist. Das Ich begreift sich nur auf Grund des
Nicht-Ich.