Das elektrische Feld
und sein Geheimnis

Costis setzt seine Reise durch den Äther mit der Metapher des Blitzes fort: Ihr Feld ist heute womöglich klarer abgesteckt. Vision...Es handelt sich um das elektrische Feld, genauer gesagt um einen von der Bewußtwerdung und dem mit ihr einhergenden Überraschungseffekt begrenzten Raum.

Der Blitz kennzeichnet im Innern einer wachsenden akustischen Intensität, dem Donner, die kulminierende Phase und den wesentlichen Moment dieser Bewusstwerdung des Seins. Der Blitz kann jeden Augenblick auftreten, sobald er vom charakteristisch rollenden Geräusch des Donners angekündigt wurde : Sein Erscheinen stellt sich als Schlusspunkt der Erwartung dar, die aus ihm resultiert. Er ist das Anzeichen und zugleich die Beruhigung der exitentiellen Angst in den Objekten, die Costis heute zeigt und die ich ohne zu zögern philosophische oder eher existentielle Objekte nennen würde. Der Blitz ist deutlich als ontologisches Phänomen bestimmbar. Das Nicht-Ich l_sst Spuren im Ich; darin ruht alles Talent des Künstlers: Seine Findigkeit, diesen äußersten Augenblick festzuhalten, wenn alles sich löst, der Blitz entsteht und in seiner Helle frei wird.

«Eclat-Eclair» (in Deutsch: Blitz-Glanz), so lautet der Titel von Costis letztem Gedicht, das mit extremer Schärfe jenen Begriff der Verfügbarkeit des Menschen veranschaulicht, sich mit dem spannungsreichsten Moment des Sichbewusstwerdens zu identifizieren. Hier handelt es sich tats_chlich um eine existentielle «Übung», im geistigsten und geistlichsten Sinne der Sprache.

Das Phänomen in seiner menschlichen Dimension, so wie Costis ihm diese verleiht, ist tief in der weltlichen Moral verankert: Der Mensch und seine Beziehung zum elektrischen Feld, das heißt zur elektrischen Beschaffenheit des Universums. Was uns Costis mittels seiner verschiedenen Arbeiten beweisen will, sind die sowohl indeterminierten als auch unendlichen Möglichkeiten, die das Wesen des Himmels und der Erde auf uns zurückstrahlt: Die Offenbarung unseres Selbst.

Costis Installationen beruhen auf diesem Moment der Wahrheit, organischer noch als die Natur ihn schaffen kann, alle und jeden betreffend, im Zeitraum eines Blickes zum Himmel. Denn die in seine Werke integrierten elektronischen Apparate erzeugen nicht nur den Blitz, sondern bergen auch seine impliziten Korollarien, die Brücke zum Himmel und unserem Sehen; zu einem grenzenlosen Himmel, der sich im Lichtbogen zwischen zwei Elektroden, einer Kathode und einer Anode, konzentriert.

Break-Lightning

Costis Vorgehen hat den Anspruch global zu sein, sich gleichermaßen mit der Fülle seiner konzeptuellen Phantasie zu decken. Der Blitz, seine Erscheinung am Himmel, ist selbstverständlich eine poetische Metapher und diese kann mit vielen Mitteln umgesetzt werden, sei es in einem Labyrinth, mit Marmorstaub, Erde, Bronze- und Eisensplittern oder Lava: Der Künstler dekliniert sein Wirkungsfeld.

Ins Gewicht fällt nur die schlichte Dialektik eines Naturereignisses; die Bahn des Blitzes zwischen leitenden Materialien und ihrem Gegenpol, der sich dem elektrischen Fluss widersetzt. So ist Costis Blitz untrennbar vom Himmelsausschnitt, in dem er erscheint, sich fortsetzt und zurückgeworfen wird. Doch genau dieser Himmelsausschnitt ist die Fortsetzung der Metapher vom elektrischen Feuer: Nicht fassbar, unsichtbar, steht sie zwischen dem Blitz selbst und seinem materiellen Auftreten, das die Form von Bronzestaub annehmen kann, zur bildnerischen Fläche oder dem Raum zwischen zwei empfindlichen Punkten wird. Dieses Stückchen Himmel transzendiert sozusagen die Metapher, deren absolutes Teil es ist und stellt sich als ein vom Blitz untrennbarer Bereich immaterieller Sensibilität dar.

Der Blitz bei Costis schafft seine spirituelle Umgebung. Es handelt sich um eine Doppelgleichung; der Blitz schafft auch Leere, die Costis dem Betrachter im elektromagnetischen Feld suggeriert. Wie man sieht, eine sinnreiche Erfindung. Costis wirkt als Magier, er ruft nicht nur den Blitz herbei, sondern verleiht dem elektrischen Feld auch alle Konnotationen einer ausgefüllten Leere, in der sich Energie frei entfalten kann. Diese vitale Energie ist das Zeichen schlechthin von Sensibilität. Und diese Sensibilität wiederum, die unlösbar mit dem Blitz verbunden ist, stellt ihr natürliches Entwicklungs- und Kommunikationsfeld dar. Der Blitz, zugleich sichtbar und fühlbar, erscheint als ein kompaktes und totales Phänomen.

Vision...Das elektrische Feuer, grell und gewaltig, wird sobald es aufleuchtet unmittelbar zum Symbol. Costis demonstriert uns die Symbolik des Feuers in ihrem reinsten Zustand. Dabei schlieât er sich der Message des groâen Alchimisten Yves Klein an. Costis weiss vom Feuer, das mitten in der Leere brennt. Er hat ohne Zögern die glühende Bahn eingeschlagen, um nach diesem Feuer zu suchen, denn seine enorme, introspektive Intuitionskraft lohnt den schwierigen Weg. Inmitten der immensen Leere des Himmels ist Feuer, das hell leuchtet und Feuer, das brennt. Auf die Dialektik des Verbrennens und des Lichts hat Costis die poetische und menschliche Message seiner Metapher aufgebaut. Nicht der brennende Blitz appeliert uns an ein besseres Leben: Nur sein helles Leuchten, der Glanz des Blitzes.

Costis Objekte bilden also zweifellos eine Austellung philophischer Natur; ihre Präsenz bietet als äußerste Rechtfertigung die einfache aber furchtbare Tatsache, uns zur Reflexion über die doppelte Wertigkeit des alchmistischen Feuers anzuregen. Eine Art, uns den beständigen Sieg des Lebens über den Tod und des Lichts über die Asche des Dunkel erkennen zu lassen. Das elektrische Feld hat sein Geheimnis preisgegben.

Pierre RESTANY, Paris, den 13. Oktober 1994.


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